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Liebe Frau Weber vom Tages-Anzeiger

Zum Weltfrauentag am 8. März erschien im Tagesanzeiger der Artikel "Frauen, wo ist euer Stolz?" von Bettina Weber (https://m.tagesanzeiger.ch/articles/5aa06061ab5c373281000001). Die Autorin wirft den Schweizer Frauen eine wenig emanzipierte, ja prinzessinnenhafte Haltung vor. Sie bezieht sich darauf, dass sieben von zehn Ehefrauen den Namen ihres Mannes annehmen und dass fast die Hälfte der Schweizerinnen Teilzeit arbeitet. Dieser Angriff auf alle Frauen, die nicht dem feministischen Idealbild entsprechen, darf nicht unwidersprochen bleiben.


Ich gebe es zu: Auch ich gehöre zu den 70 Prozent Frauen, die den Namen ihres Mannes tragen. Weshalb Frau Weber daraus schliesst, meine Tochter werde dereinst annehmen, ich sei weniger wichtig als ihr Papi, ist mir schleierhaft. Ein Familienname sagt doch nichts über die Wichtigkeit des Trägers oder der Trägerin!

Und ja, auch ich werde bald Teilzeit arbeiten. Ist dies Ausdruck meiner prinzessinnenhaften Einstellung, der Scheu, finanzielle Verantwortung zu übernehmen? Mitnichten! Vor meiner sechsmonatigen Babypause arbeitete ich 80 Prozent in einer Kaderposition. Daneben führte ich mein eigenes Unternehmen. Nun werde ich mein Arbeitspensum auf 40 Prozent reduzieren. Nicht, weil ich mich vor Verantwortung fürchte, sondern, weil ich die Verantwortung für mein Kind, bzw. meine Familie übernehme.

Ein Kind grosszuziehen ist nämlich mehr, als "sich ums Znünitäschli kümmern", wie Frau Weber despektierlich schreibt. Es ist harte Arbeit. Wer steht denn nachts auf, wenn das Baby unruhig ist? Genau, die Mutter. Mütter spüren, dass ihrem Kind etwas fehlt – lange bevor es schreit. Die Väter schlafen zu diesem Zeitpunkt noch tief und fest. Das ist kein Vorwurf an die Männer. Aber die Evolution hat zwischen Müttern und ihren Kindern eine spezielle Bindung entstehen lassen. Diese beruht auf Gegenseitigkeit. So ist auch der Säugling während der ersten Monate ganz auf seine Mutter fixiert.

Für sein Baby da zu sein, ist ein wunderschönes, intensives Erlebnis. Gleichzeitig bedeutet es eine grosse Anstrengung. Daneben 100 Prozent zu arbeiten, ist meines Erachtens kaum möglich. Oder glauben Sie, liebe Frau Weber, dass Sie, nachdem Sie wochen-, nein, monatelang keine Nacht durchgeschlafen haben, noch ihre volle Arbeitskraft dem Schreiben polemischer Artikel widmen könnten? Dass der Mutterschaftsurlaub in der Schweiz bloss 14 Wochen dauert, erschwert Müttern das Arbeiten zusätzlich. Zumal die WHO empfiehlt, während 6 Monaten zu stillen. Wie soll das funktionieren, wenn die Mutter fünf Tage die Woche während mehr als acht Stunden am Arbeitsplatz ist?

Sobald das Kind aus dem Gröbsten raus ist, kann frau natürlich wieder Vollzeit arbeiten. Doch weshalb sollte ich die Belastung von Schwangerschaft und Babyphase auf mich nehmen, nur um danach mein Töchterchen kaum noch zu sehen? Davon abgesehen sind Krippenplätze – Bürokratie sei Dank – enorm teuer. Klar: Theoretisch haben Eltern die Möglichkeit, sich Arbeit und Kinderbetreuung gleichmässig zu teilen. Dem steht allerdings die Realität auf dem Arbeitsmarkt entgegen. Ist es schon für Frauen nicht leicht einen Teilzeitjob zu finden, haben es Männer umso schwerer, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Und Hand aufs Herz: Wie viele Väter sind tatsächlich bereit, sich "ums Znünitäschli zu kümmern", während Mami das Geld verdient? Die Menschheit trägt das Erbe einer langen Evolutionsgeschichte mit sich, während der sich die Rollen von Mutter und Vater unterschiedlich entwickelt haben. Dies zu ändern braucht Zeit.

Wenn die Artikelschreiberin uns Teilzeit arbeitenden Müttern eine prinzessinnenhafte Einstellung vorwirft, offenbart sie, dass sie nicht verstanden hat, worum es bei der Emanzipation geht. Wir Frauen haben uns nicht gegen das Korsett der patriarchalen Rollenverteilung gewehrt, um uns in ein anderes Rollenmodell zwängen zu lassen, das selbst ernannte Feministinnen ohne Kinder für das einzig richtige halten. Emanzipation bedeutet vielmehr, dass ich die Freiheit habe, meinen Lebensentwurf selbst zu wählen. Dazu gehört, dass mein Mann mich als gleichwertige Partnerin respektiert und wir unser Leben, unsere Sorgen und unseren Haushalt teilen. Wessen Namen ich trage oder wie wir unsere Aufgaben verteilen, spielt keine Rolle, solange es sich um partnerschaftlich getroffene Entscheidungen handelt.

Jeannette

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